bat-Studiotheater
Belforter Str. 15
10405 Berlin
Nach dem Roman von Lukas Rietzschel
Diplomprojekt / Regie
Philipp und Tobi, zwei Brüder, wachsen ländlich auf, ein kleiner Ort in der sächsischen Provinz Anfang der 2000er. Am Rande des Dorfes bauen ihre Eltern ein Einfamilienhaus. Einschulung. Opa redet über die Vergangenheit, das Schamottewerk, in dessen Kantine man immer ein Bier bekommen hat. Plötzlich Sprengung. Abbau Ost. Die letzten Überbleibsel der DDR verschwinden. So wie das Werk zerfällt immer mehr der Ort und auch die Familie.
Auf der Suche nach Zugehörigkeit findet zuerst der inzwischen jugendliche Philipp Anschluss in einer Gruppe Jungs um den schon älteren Anführer Menzel. Hier kann er die Erwachsenen provozieren. Sein erstes Bier trinken. Dafür nimmt er auch Gewalt-Eskalationen in Kauf. Andere Perspektiven gibt es im Dorf ohnehin kaum. Auch Tobi wird Teil von Menzels-Clique und findet hier Halt und Erklärungen für sein Gefühl von Kontrollverlust. Er will sich wehren, sein Dorf retten und spürt sich im Widerstand, irgendwann auch zu Philipp. Sie schlagen mit der Faust. Wir zeigen empört mit dem Finger auf sie.
Welche Perspektive haben wir auf die Brüder und ihren Ort? Radikalisierungsgeschichte im Osten? Wissen wir ja alles schon.
Chor
Wir sind beobachtend
Abwägend
Wir sind
Ja das muss man sagen
Wir sind manchmal unzufrieden.
Wir wissen nicht weiter
Wir würden es gerne wissen
Aber wer hört uns zu?
Es spielen: Aaron Blanck, Golo von Engelhardt, Eva Gerngroß, Nicolas Sidiropulos, Moritz Tostmann und Antonia Wiedemann
Regie & Fassung: Marten Straßenberg
Ausstattung: Juliane Längin & Justus Borschke
Musik: Philipp Rumsch
Dramaturgie: Jule Martenson
Musikalische Einstudierung: Steffen Gerstle
Mentorat: Robert Schuster
CN: In dem Stück wird Diskriminierung und Gewalt explizit thematisiert und gezeigt.
Marten Straßenberg im Interview
Die Beschäftigung mit dem Thema hatte ihren Beginn durch den stärker werdende Assoziationsreflex: „Der Osten ist Rechts“. In der Vergangenheit beschrieben mit „Dunkeldeutschland“, „der braune Teil des Landes“ usw. Diese mantraartige Scheinwahrheit löste immer mehr ein Unbehagen und Widerstand in mir aus, entsprach das doch nicht meiner Lebensrealität. Natürlich gibt es gerade in Südthüringen (Hildburghausen, Themar) wirklich stramme Nazis, denen ich selbst schon im Zugbegegnet bin. Gleichzeitig habe ich so eine starke Zivilgesellschaft erlebt, die gerade mit Beginn der ersten großen Welle geflüchteter Menschen unfassbar engagiert war. Diverse Projekte, die mit Geflüchteten gemacht wurden, um eine Integration nicht nur auf sprachlicher, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene zu ermöglichen. Gleichzeitig zeigen die Wahlergebnisse in den ostdeutschen Bundesländern natürlich ein ganz anders Bild. Die AFD als stärkste Kraft im Osten. Seit der Bundestagswahl aber nicht mehr so eindeutig. Ich fraß ich mich durch Literatur die, genau das Phänomen der Wahlergebnisse einzuordnen versuchte (z.B. Der Osten eine Erfindung des Westens / Ungleich vereint). In Ungleich vereint versucht Steffen Mau eine soziologische Einordnung, die vor allem wirtschaftliche Aspekte der Wiedervereinigung einbezieht. Bis heute wird nur 2% der gesamten Erbmasse im Osten vererbt. Es gibt kaum große Firmen mit Sitz im Osten. Prozentual sind mehr westdeutsche in Führungspositionen -die auch rein statistisch – eher westdeutsche einstellen. Fachkräfte und vor allem auch junge Frauen wandern tendenziell ab. Meistens in den Westen. Das bedeutet das z.B. im Ilmkreis in Thüringen 140 Männer auf 100 Frauen kommen. Gegenden werden dadurch vor allem von „Maskulinen“ und Patriarchalen Werten geprägt.
Was mich vor allem beschäftigte: Die Anzahl der jungen Menschen die, die AFD wählten. „Der böse Boomer“ hat tatsächlich (zur Europawahl im letzten Jahr) viel gemäßigter gewählt. Dann kurze Zeit später: Das Sylt Video. Große Empörung in den Medien … Der Bundeskanzler schaltet sich ein. Die Reaktion irritierte mich erneut, zeigt sich doch nun daran endgültig das, dass keinostdeutsches Problem mehr ist. Im Laufe des Sommers tauchen immer mehr Videos von Dorfpartys auf. In Frankreich wurde in den vergangenen Tagen die vierte Regierung innerhalb eines Jahres gebildet. Im Rest Europas sieht es ähnlich schlecht aus, wenngleich in Polen tatsächlich wieder eine Gegenbewegung stattfindet. Prozentual ist die AFD in den ostdeutschen Bundestagen stärkste Kraft, ja! In Bayern wurde sie zur Bundestagswahl mit 17 % zweitstärkste Kraft. Bayern hat in etwa so viele Einwohner:innen wie der gesamte Osten. Das heißt die rund 35% im Osten sind rein nummerisch sogar weniger als in Bayern.
So weit so bekannt. Die Frage blieb in mir woran liegt das? Die AFD hatte in der Vergangenheit immer die Geflüchteten als Instrument benutzt, um Angst zu schüren. In der US-Wahl dann aber die Überraschung: Das Thema, dass die meisten Menschen beschäftigt: Wirtschaft.
Und dann bin ich plötzlich auf das Buch gestoßen, das wie ein Schlüssel für den Antrieb der Menschen war „Gesellschaft der Angst“ von Heinz Bude. In dem beschreibt er das Angst, eine der stärksten Emotionen ist, die nur über Anerkennung des Gegenübers anzuerkennen ist. Das, was in jeder Therapie passiert. Anstelle von:
A: Ich habe Angst vor Spinnen.
B: Stellen Sie sich nicht so an, das ist doch nur eine Spinne.
SONDERN
A: Ich habe Angst vor Spinnen.
B: Das kann ich verstehen. Was macht ihnen genau Angst?
Ich fürchte das dieser ganze Konflikt auf politisch / gesellschaftlicher Ebene nur über eben diesen Dialog aufzulösen ist. In Amerika erleben wir das krasse Gegenteil. Dort tritt Politik anstelle von Religion und der Gang zur Wahlurne wird zum Glaubensbekenntnis. In Talkrunden hört man Amerikaner:Innen die fast jeden Satz mit „I believe“ (ich glaube)
beginnen.
Wenn ich mich jetzt in einen jungen Menschen hineinversetze, der die Blüte seiner Jugend in Corona verbracht hat, als (natürlich verständlicherweise) die Priorität bei vulnerablen Gruppen lag, dann die ganze Zeit das drohende Ende der Welt durch den Klimawandel wie eine Wolke über allem schwebt und nun auch an jeder Ecke Kriege ausbrechen und durch die damit verbundene drohende Wirtschaftskrise alles verteuert, wie kann ein junger Mensch da nicht Angst haben? Wenn dann eine Partei kommt, die natürlich(!) populistisch agiert und einen Schuldigen für die Verhältnisse präsentiert (der Geflüchtete) und zumindest so tut, als würde die Partei den jungen Menschen zuhören, wie kann dann das Wahlergebnis überraschen?
„Das ist noch kein Grund AFD zu wählen!“ Nein ist es auch nicht. Aber gleichzeitig wird auch so ein Satz zur Falle. Er verkennt wieder die Angst der Menschen. Und man könnte natürlich zurecht sagen, dass die letzten 20 Jahre durchaus durch einen Stillstand geprägt waren und seitdem -durch oben beschriebene Krise- gleichzeitig ein Verlust des Wohlstands einsetzt. Gerade wächst eine Generation heran die nicht mehr sagen kann: „Wir wollen mal das ihr es besser habt als wir“, sondern die dazu gezwungen ist zu sagen: „Wir wollen erstmal das es so bleibt wie es ist und nicht noch schlimmer wird.“
Gleichzeitig inszeniert sich die AFD als „rebellische“ und „wiederständige“ Partei. Gerade zur Kommunalwahl in Brandenburg haben die jungen Menschen durch Provokation so unfassbar viel Aufmerksamkeit bekommen. Aufmerksamkeit, die sie in der Vergangenheit vermisst haben. Gegen bestehendes und gegen Autoritäten zu sein ist zudem eine Grundhaltung die ich als Jugendlicher ebenfalls hatte und der für die meisten jungen Menschen zum Aufwachsen dazu gehört. Die AFD schafft dabei wie keine andere Partei bürgernahe zu sein. Eine Qualität die viele Menschen gerade im ländlichen Raum schätzen. Und hier wird glaube ich der wirkliche Graben sichtbar. So ist doch diese ganze Debatte auch und vor allem eine Klassenfrage. Eine Frage die wir im Kleinen auch im Theater spüren. Theater als Raum eines linksgrün, bildungsbürgerlichen Klientels. „Theater XY gegen Rechts.“
Voll in Ordnung das zu schreiben, doch verbreitern wir den Graben auf unserer Seite nicht dadurch, anstatt die Hand zu reichen? Mir fällt es in letzter Zeit schwerer und schwerer die Echokammer Theater in ihrer Form zu verteidigen, weil wir doch das Publikum, was wir erreichen wollen, gar nicht mehr bekommen. Weil die Grundprämisse der letzten Jahre sowohl im Theater als im Diskurs doch sehr belehrend daherkommt. Gesellschaft baut sich nicht so schnell um und vor allem nicht durch ein Diktat aus den Städten. Sind doch die Lebensrealitäten des Landes / „der Provinz“ ganz anders als die in der Stadt. Sehr gut ablesbar auch an den Wahlergebnissen.
Der Bogen war mir wichtig, um vielleicht darüber den Wiederspruch sichtbar zu machen der in mir liegt und im Roman angelegt ist. Zwei Jugendliche auf dem Lande im Osten. Eine Geschichte, die auf zwei Ebenen inhaltlich leicht zu oben erwähntem „Echokammertheater“ werden kann und gleichzeitig sprachlich so stark von Lukas Rietzschel gefasst wurde.
bat-Studiotheater
Belforter Str. 15
10405 Berlin
Öffentl. VVK beginnt 10 Tage vor der ersten Vorstellung