Clemens Winkler im Interview
Clemens Winkler wurde zum Gastprofessor „digitale Medien“ berufen. Im Interview stellt er sich vor.
Clemens Winkler, Sie sind Designforscher am Exzellenzcluster Matters of Activity – können Sie uns kurz erzählen, wie sie Ihren Weg an die Hochschule für Schauspielkunst gefunden haben?
Ich beschäftige mich seit Langem intensiv mit Fragen der Erlebnisqualität der Lehre, der Forschungspraxis, aber auch des Alltags. Diese Frage nach der Erlebnisqualität hat mich immer schon umgetrieben, in meiner eigenen Ausbildung und nun in der Lehre.
Meiner eigenen Herkunft entsprechend habe ich immer mit Verschränkungen experimentiert und Zusammenhänge hergestellt: In der Neurobiologie durch Materialmodelle, in der Astrophysik durch Berechnungen aus Musiksoftwareentwicklungen oder ich konnte beim Bauen echter Wolken, Morphologien von Biofilmen räumlich erlebbar machen. In solchen seltsamen Zusammenhängen habe ich verschiedene disziplinäre Sichtweisen miteinander in Verbindung gebracht und so den Sinn für das Unentdeckte und das Formlose entwickelt. Diesen Austausch möchte ich mit dem Cluster und der Hochschule weiter ausbauen.
Beim Cluster an der Humboldt-Universität geht es darum, Brücken zwischen neuen stofflich-dinglichen Ebenen und hoch-technologisierten, digitalisierten Abläufen zu schlagen. Dies gelingt durch Interaktion und Zusammenarbeit von Geistes- und Naturwissenschaftler*innen sowie Designer*innen und Architekt*innen hin zu einer, wie wir es nennen „neuen Kultur des Materiellen“. Interessant wird diese abstraktere Forschung im Kontext des Theaters, da hier ein Erlebnis geschaffen wird und diese Form des Zusammenspiels der Materialien, der Menschen und ihrer unterschiedlichen Sehnsüchte und unausgesprochenen Ideen einen zeitgemäßen Ausdruck sucht. Die Frage lautet doch, wie stellt man einen Zeitbezug her, auch ohne technologische Plattitüden zu bemühen. Wissenschaft, Labor und Bühne und wir mittendrin als Zuschauer*innen, Akteur*innen; da vermischt sich Einiges.
Was können wir uns unter spekulativen Materialien auf der Bühne vorstellen?
Es geht dabei um das neu Verhandeln von dem was schon da ist. Durch Spielfreude und vertauschte Rollen, Räume und dem Einbeziehen von Naturkräften geht es darum, dem Ordinären etwas Geheimnisvolles zu geben. Es wird etwas Unerwartetes zugelassen und es geht darum, einen Umgang zu finden durch viel körperliche und geistige Übungen, dem experimentellen Einbinden neuer Technologien, die sich in einer Ökologie des Theaters weiterentwickeln lassen. Das kann bedeuten, Material in seinen ambigueren Phasenübergängen im Bereich Digitaler Medien zu verorten und auf der Bühne unumgänglich hervorbringend, zu intensivieren, was dem Skript und der Ausstattung sonst verborgen bleibt. Hier kann Staub durch Abrieb auf der Bühne in Anlehnung an digitale Datenerfassungen geknüpft sein. Oder sollten sich ganze Wolken bilden, werden diese selbst zu Protagonisten vom täglichen menschlichen Bemühen, gegen die Zeit etwas unternehmen zu wollen. Das Fabulieren am Material selbst kann auf Basis vermeintlich ordinärer Stoffe wie Zucker, Kohle, Glycerin, Luft oder Wasser als Neue Medien experimentell getriggert und erspürt werden. Mir ist dabei sehr wichtig, fiktive Stofflichkeit gemeinsam mit anderen Studiengängen wie der Choreografie, Regie oder Dramaturgie zu erörtern.
Unter Material stellt man sich ja zunächst etwas zum Anfassen vor. Wie verbindet sich das mit ihrem Bereich „digitale Medien“?
Digitale Medien schaffen und manifestieren Denkräume und sind zugleich immer hard-wired. Es gibt kein „digitales Denken“, das nicht materiell oder an Stoffkreisläufe gekoppelt ist. Und trotzdem lässt es uns Welten verbinden/ästhetisch verhandeln, was es uns ermöglicht, Naturkräfte ganz anders zu begreifen. Ich habe mich mit Software, digitalen Code, und elektronischen Schaltkreisen schon als Kind beschäftigt. Die Rolle der Medien im Digitalen und Stofflichen zu betrachten, ermöglicht es, größere Zusammenhänge zu denken. Es geht weniger darum zu bewerten, sondern das gemeinsame neu Verhandeln, wie viele Stoffe z. B. an einer Google oder einer GPT Anfrage hängen; jedoch ist das gerade gemeinsam für uns neu verhandelbar. Auch Abgase und Kilowatt verdienen ihre eigene Lebendigkeit zwischen weitverzweigten Serverfarmen, IT Clouds, und genau hier sehe ich in meiner Aufgabe eines umweltlichen Imaginierens, experimentellen Gestaltens mit digitalen Technologien, Themen der Nachhaltigkeit als sehr anschlussfähig.
Das Digitale ist ja heute nicht mehr wegzudenken, wenn es um Open Access Kulturen, partizipative Prozesse, Ökonomien, Bürokratien, Tele-Präsenzen und Formen von Solidarisierungen geht, die auch auf der Theaterbühne ihren Platz bekommen sollen. Gerade die Möglichkeiten, Dramaturgien, Objekte und Narrative gesellschaftspolitisch aufzubrechen, scheint mir zentral durch das digitale Denken beeinflusst zu sein. Nicht zuletzt sind natürlich digitale Medien auch für Themen des Bühnenbildes, des Lichts, des Tons und der Akustik sehr interessant und relevant.
Worauf freuen Sie sich besonders in der Zusammenarbeit mit den Studierenden?
Ich freue mich sehr, Bühnenformate zu öffnen, spielerisch Position zu bestimmen und das Publikum auf der Bühne zusammen mit den Studierenden zu begleiten. Darüber hinaus freue ich mich über die diversen Hintergründe der Studierenden, die sie in unserem Masterprogramm „Spiel und Objekt” einbringen. Sie haben den Freiraum in ihrem Atelier ihr eigenes Beobachten > Handeln > Beschreiben > wieder Beobachten zirkulär zu untersuchen, um ihre ganz individuellen Sprachen besser zu verstehen. Letztlich sollten sie dadurch in der Lage sein, partizipativ bei Besucher*innen diesen aisthetisch und narrativ angetriebenen Prozess voller Widerstände auszubauen.
Das Ausdifferenzieren der eigenen Felder durch Publikationen, partizipative Workshops und interdisziplinärem Ineinandergreifen soll den Studierenden helfen, ihren eigenen Intentionen zwischen Wissensständen und performativ-körperlichen Ausdrucksformen sowie experimentellen Dramaturgien zu erproben.
Welche Perspektive sehen sie aus Sicht der Digitalen Medien für das Theater?
Sollte der digitale Diskursraum stärker eingebunden werden oder sollte sich das Theater als ein Ort des Abschottens der Entnetzung bedienen? Die Medialisierung von Gesellschaft und Theater geht voran, und es geht hier nicht um ein Gegeneinander, sondern um neue Formen der Gegenständlichkeit, Örtlichkeit, der Nachhaltigkeit im sozialen und ökologischen Zusammenkommen zu denken. Die Frage der Perspektive bietet natürlich auch immer die Möglichkeit historischer Bezüge von Medien und Theater. Vor allem reizt mich der Einsatz von Medien des Puppentheaters zwischen Ost- und Westeuropa historisch zu verfolgen. Beispielsweise vor dem Mauerfall zwischen kommunalen Projekten der DDR oder Einzelprojekten in Westdeutschland und der Schweiz, und wie es zur heutigen Landschaft des Puppen-, Material- und Objekt-Theaters kommt.
Die Ungeduld unserer Zeit schreibt sich heute gerade noch sehr in digitale Prozesse ein, was nicht zuletzt an technologischen Versprechen eines Rapid(!) Prototypings liegt. Wenn wir heute Remote Access bekommen, um unsere VR Helme mit Cloud-Speichern zu koppeln, stemme ich mich nicht dagegen, sondern schaue orientiert am möglichen Mehrwert, was hinten runterfällt, ergo kompostierbar bleibt. Hier können allerhand Gestaltungskompetenzen erworben werden, die die ästhetische Praxis des Theaters zwischen vielen anderen Bereichen besonders machen.
Welche Schwerpunkte werden Sie zum Start ihrer Gastprofessur setzen?
Meine Rolle sehe ich in einem Ort zwischen fächerübergreifendem, künstlerischem Forschen und der Utopie des Spielerischen. Wenn sich Studierende zukünftig im Schwerpunkt der Digitalen Medien bei uns am Theater mit Themen wie der Zukunft von Lebensmitteln, der künstlichen Intelligenz, der Zukunft der Demokratie und allem, was mit dem Klimawandel und der Energiekrise zu tun hat, beschäftigen wollen, bauen wir gemeinsam an einem Themenpark post-fossiler Zukünfte im Verhandeln von eigentlich bekannten Phänomenen neu und bauen Luftschlösser oder Wolkenfabriken. *Lachen* gerade zur Wolkenfabrik, die wir im Januar auf der Bühne des bat-Studiotheaters aufbauten, schlummern Kindergeschichten aus den Anfängen der Industrialisierung, bei denen erzählt wurde, dass die Fabriken durch den Rauch aus ihren Schloten Wolken bauen und uns so Geschichten an den Himmel zaubern. Das ist im Grunde genommen ja immer noch so.
Ich freue mich sehr auf meine Zeit als Professor an der HfS Ernst Busch Berlin, in den kommenden Jahren im Masterprogramm „Spiel und Objekt”, das Gegenständliche an den scheinbaren Grenzen, Schnittstellen und Schaltern zu verhandeln. Hierfür braucht es jede Menge Kraft, Zufall und Störung, was sich durch experimentelles Arbeiten mit den Studierenden ein Stück weit erschließen wird.