"...als Akt widerständiger Menschlichkeit und theatraler Utopiebehauptung"
Wir gratulieren nachträglich der KULA-Compagnie und Prof. Robert Schuster zum Preis des Deutschen ITI-Zentrums 2024
Bereits im November 2024 zeichnete das Deutsche Zentrum des Internationalen Theaterinstituts (ITI) die KULA-Compagnie aus. Mehr über die transnationale Theatergruppe finden Sie hier: https://kulacompagnie.eu/
Mit der Auszeichnung wurde ein Projekt gewürdigt, das von Regie-Professor Robert Schuster mit initiiert wurde und zu dem auch die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch als Projektpartnerin einen Beitrag leisten konnte. Hier veröffentlichen wir einen der Texte der Laudator*innen:
"Robert Schuster kam damals ins ITI und wir überlegten, wie wir zumindest in den Visafragen helfen könnten. Die Politik der Visavergabe war und ist ein Riesenproblem für Kulturorganisationen in ganz Europa und das ITI saß seither wiederholt in deutschen und europäischen Treffen mit Vertreter:innen aus den Resorts sowohl für Kultur als auch für Innen- und Sicherheitspolitik wo die kulturferne Praxis der Visavergaben auf die Tagesordnung gebracht wurde. Sie alle wissen, dass sich die Dinge jenseits der wohlmeinenden Dialoge seither nicht zum Besseren entwickelt haben und wir stattdessen einen Überbietungswettbewerb in repressiven Migrationspakten erleben. Aus dieser Situation heraus, als Akt widerständiger Menschlichkeit und theatraler Utopiebehauptung entstand bei der KULA Compagnie das mehrjährige Projekt „Transit Europa“ bei dem in Kooperation mit dem Kunstfest Weimar, dem Deutschen Nationaltheater Weimar, dem Theater Freiburg und der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ 5 Spieler:innen der Theatergruppe AZDAR aus Afghanistan für mehrere Projekte nach Deutschland eingeladen wurden.
Durch den Erfolg der ersten Produktion „KULA-nach Europa“ und der unübersehbaren Leerstelle, die durch die abwesenden Spieler:innen aus Afghanistan in der Öffentlichkeit thematisiert werden konnte, gelang ein Jahr später die Visumsvergabe. Wiederaufnahmen in Afghanistan entstandener Projekte standen am Anfang und mit MALALAI – die afghanische Jungfrau von Orléans fand endlich die künstlerische Begegnung mit dem europäischen Teil des Ensembles statt.
18 Produktionen hat KULA in den letzten zehn Jahren geschaffen, allein sechs davon in zwei Jahren im Rahmen von Transit Europa. Gleichzeitig waren diese Arbeiten ein transkulturelles Laboratorium, angesiedelt im bayerischen Birach, in dem erforscht wurde, wie die individuellen Resonanzräume der Muttersprachen gleichberechtigte Ausdruckmittel auf der Bühne werden können und sich unterschiedliche kulturelle Identitäten und Sozialisierungen im Spiel ergänzen.
Vor einem Jahr, wenige Wochen nach dem Massaker der Hamas auf 21 israelische Kibbutzim und ein Musikfestival, als der Hass weltweit tief Atem holte um alle mühsam errichteten kulturellen und zivilgesellschaftlichen Brückenschläge zu sprengen, rief mich Robert an und fragt, wie das ITI sein seit längerem geplantes Projekt den DIBBUK in zwei Lesarten, mit europäisch-jüdisch und islamisch-nahöstlich geprägten Schauspieler:innen unterstützten könnte. Die Idee sei jetzt zwar zugegebenermaßen gerade schwieriger geworden aber vielleicht gerade deshalb wichtig. Und es müsse schnell gehen, wegen der Antragsfrist. Und, ja, mögliche Gastspiele im arabischen Raum wären doch toll, ob mir da was einfiele. Ich muss gestehen, mir fielen nicht einmal halbwegs stichhaltige und authentische Argumente ein, um ein sinnvolles Unterstützungsschreiben für so ein wahnwitzig klingendes Projekt abzufassen.
Es ist eines der KULA-Wunder, dass Dibbuk-zwischen (zwei) Welten zustande kam, gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes, letztendlich dank des Einsatzes einer einzelnen kundigen Kuratorin, und bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen im Sommer Premiere hatte. Der Sprachlosigkeit haben 21 Schauspieler:innen aus Deutschland, Frankreich, Italien, Russland, Israel, Iran und Afghanistan eine siebensprachige Antwort auf die Besessenheit der Welt von den Dämonen der Vergangenheit entgegengesetzt.
Wir sind sehr froh, dass wir Euch heute den Preis des ITI überreichen dürfen, denn die Arbeit von KULA zeigt, dass Theater als Brücke, und wenn die zerstört ist, als unbeirrbare Fähre zwischen Macht- und Meinungblöcken verkehren kann, an Bord KULA-Objekte, deren Wert ökonomisch nicht messbar, sozial und kulturell aber von essenzieller Bedeutung ist. Aufgeladen mit der Geschichte ihrer Weitergabe sollen sie Eure Botschaft des Friedens und der Verständigung auch in die Zukunft tragen."
Thomas Engel, Direktor des Deutsches Zentrum des Internationalen Theaterinstituts (ITI) // Theater der Welt.
https://www.iti-germany.de/home
Mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Zentrum des Internationalen Theaterinstituts (ITI).